Sprache

Sprachentwicklung und Sprachauffälligkeiten bei Autismus

Sprachauffälligkeiten sind ein sehr augenscheinliches Merkmal von Kindern und Jugendlichen, die ausbleibende oder auffällige Sprache oft das erste eindeutige Zeichen, dass in der Entwicklung des Kindes etwas nicht stimmt.

Der Sprachbereich ist bei Autismus so markant, dass er zu einem zentralen Thema innerhalb der Literatur und Forschung wurde. RUTTER, ein britischer Kinderpsychiater, betrachtete Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre Autismus als Folge eines sprachlich-kognitiven Defizits, auch andere Autoren sahen das Sprachproblem als eine der Voraussetzungen autistischer Verhaltensweisen.

Heute hält man die Sprachauffälligkeiten zwar für eine offensichtliche Symptomatik betrachtet diese jedoch nicht mehr als (Mit-)Ursache von Autismus, sondern als Folge von anderen, grundlegenden Auffälligkeiten.

Bei diesem Thema muss man verschiedene Unterscheidungen vornehmen:

Das Sprechen muss vom Sprachverständnis unterschieden werden. Das „Sprechen“ als aktive Sprachäußerung selbst hat - seit es die Methode der gestützten Kommunikation gibt - wiederum eine echt gesprochene und eine geschriebene Variante.

Auch muss der Spracherwerb von Menschen mit frühkindlichem Autismus und solchen mit Asperger-Autismus unterschieden werden.
Letzt genannte Gruppe hat definitionsgemäß keine hervorzuhebenden Sprachentwicklungsauffälligkeiten, ihre Besonderheiten liegen eher in den Gesprächsthemen und der Art des Sprechens.
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Eine kurze chronologische Betrachtung der Sprachentwicklung und Sprachentwicklungsauffälligkeiten bei frühkindlichem (Kanner) Autismus
  • Autistische Kinder sind oft schon in ihrem Schreiverhalten als Säuglinge auffällig. Manche autistische
        Kinder sind auffallend ruhig, andere schreien sehr exzessiv, ohne dass die Eltern den Grund hierfür
        herausfinden.
  • Die Lallphase - das Kleinkindplappern bis zum 11.Monat - ist weniger ausgeprägt und andersartig. Die frühe
        Sprachentwicklung - Einwortsätze, Aufbau und Erweiterung des Wortschatzes bis zum 3. Lebensjahr -  wird
        später oder gar nicht erreicht.
  • Hier zeigen sich auch Schwierigkeiten in der Bedeutung: Die ersten gesprochenen Worte haben oft keine
        spezielle Bedeutung.
  • In dieser Zeitspanne entwickelt ein normales Kind auch den richtigen Gebrauch der Pronomina, zeigt auch
        schon Dreiwortsätze und kann eine einfache Konversation führen. Die weitere Sprachentwicklung hat oft
        einen sehr unsteten Verlauf, auch Regressionen sind möglich.
  • Die Regelstruktur der Sprache bleibt auf einfachem Niveau, viele Kinder zeigen eine ausgeprägte Echolalie.
        Schwierigkeiten im abstrakten Gebrauch der Sprache (Pronomen, W-Fragen, Vorstellung von Zeit u. a.,
        Verbalisierung des Denkens) sind deutlich, die Sprache ist kaum spontan, der kommunikative Charakter der
        Sprache fehlt, das Sprechen ist oft eigentümlich mit hoher Stimme und/oder fehlender Sprachmelodie
        (dysprosodisch).
Dabei sind von entwicklungspsychologischer Seite her folgende Aspekte als autismustypisch oder prägnant hervorzuheben:
  • Bei autistischen Kindern kann es zu einem Verlust bereits erworbener Sprache kommen, dies spielt sich
        i.d.R. in den ersten drei Lebensjahren ab. Der Verlust von Sprechfähigkeiten wird als Alarmsignal und als
        Hinweis auf das Vorhandensein einer autistischen Behinderung gewertet. Früher schätzte man, dass bei
        frühkindlichem Autismus ca. die Hälfte der Betroffenen nicht spricht. Dies scheint sich durch die
        verbesserte Versorgung inzwischen gebessert zu haben.
  • Die Sprachauffälligkeiten lassen sich in das diagnostische Gesamtbild gut einordnen, sie betreffen die
        Aspekte Kommunikativität der Sprache, Bedeutungsgehalt der Sprache und Emotionalität der Sprache.
Mit dieser Einteilung sollen im folgenden einige wesentliche Aspekte der Sprache autistischer Menschen dargestellt werden, danach werden noch andere Besonderheiten besprochen.
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Kommunikativität der Sprache
    Autistisch Behinderte sind in der Benutzung der Sprache zur Kommunikation eingeschränkt, das Sprechen ist auch nicht sehr spontan. Es scheint, als hätten sie Schwierigkeiten zu verstehen, dass die Sprache eine Möglichkeit der Verständigung darstellt. D. h. das Defizit im Spracherwerb ist eigentlich ein Defizit im Erwerb der Fähigkeit zu kommunizieren.

    Das betrifft auch schon vorsprachliche Formen der Gestensprache.

    Die vorsprachliche Gestensprache, die man als Entwicklungsstufe vor der gesprochenen Sprache betrachtet, betrifft Gesten wie das Zeigen auf einen Gegenstand, das Lenken der Aufmerksamkeit der Bezugsperson auf einen Gegenstand etc.

    Im Rahmen der Frühdiagnostik von autistischen Kindern hat man ja, wie im Artikel "Diagnose und Erscheinungsbild" dargestellt, gerade hier einen frühen Unterschied festgestellt: Das normal entwickelte Kind bemüht sich um die geteilte Aufmerksamkeit, autistische Kinder streben in der Regel nicht danach, auf etwas zu zeigen um mit der Bezugsperson das Interesse daran zu teilen im Sinne von, "schau mal, das find ich toll...". Diese Einschränkung zieht sich mehr oder weniger durch das ganze Leben.
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    Bedeutungsgehalt der Sprache

    Autistische Kinder und Jugendliche haben Probleme mit der Bedeutung von Sprache. DEMYER erwähnt z.B., dass bei der Hälfte der von ihr untersuchten autistischen Kinder die ersten Worte keine spezielle Bedeutung hatten!

    • Die ersten gesprochenen Worte sind oft nicht "Mama" oder "Papa", sondern sind - wenn sie einen
          tatsächlichen Bezug haben - aus dem stereotypen Interessenbereich, z. B. "Auto"
    • Ein autismustypisches Sprachphänomen ist die Echolalie: die spontane sofortige oder spätere
          Wiederholung von wahrgenommenen Aussagen.
    • Während man die Echolalie früher i d. R. als sinnlose Wiedergabe von Worthülsen betrachtet hat, versucht
          man inzwischen, echolalische Äußerungen viel differenzierter zu betrachten: Echolalie könnte eine
          Strategie sein, ohne Grammatikverständnis etwas zu sagen. Echolalie wäre dann ein "Ausleihen von
          Formulierungen" bei einer doch vorhandenen Absicht etwas zu sagen.
    • In der Tat ist es oft so, dass nähere Bezugs- und Betreuungspersonen autistischer Menschen Echolalien
          einen Sinn zuschreiben können:
    • Sofortige Echolalie kann viele Funktionen haben: reine Aufrechterhaltung des Gespräches, Bestätigung,
          selbstregulierender Charakter.
    • Verzögerte Echolalie kann auf eine Situation verweisen, in der die Äußerung auftrat. D. h., anstatt zu sagen,
          "kannst du dich erinnern, als wir... ", wird eine Aussage aus jener Situation echolaliert.
    • Kann eine autistisch behinderte Person sprechen, dann findet man häufig stereotype Redemuster oder
          auch stereotype Themen. Dies steht wohl in Zusammenhang mit dem Drang nach Gleicherhaltung der
          Umwelt, nach Einschätzbarkeit der sozialen Situation, d. h. nach Herstellung von Sicherheit.

    Ein bekanntes Phänomen, das bei Autismus zu beobachten ist, ist die Ich-Du- Vertauschung (auch mein-dein, mir-dir usw.), d. h. die Pronomenumkehr: Früher hat man diese gerne dahingehend interpretiert, dass ein Mangel an Ich-Gefühl oder Ich-Stärke vorliege. Heute halten viele Autoren es für ein Spracherwerbsproblem: Die Pronomenvertauschung kann als Folge der Echolalie verstanden werden ("Hast du Hunger" anstatt "Ich habe Hunger") oder im Zusammenhang mit der Schwierigkeit der Abstraktion. Nach WENDELER erkennen autistische Kinder/Jugendliche nicht die Sprecherabhängigkeit der Pronomen, sondern behandeln sie wie Namen.

    Bemerkenswerterweise müssen sich beide Theorien nicht ausschließen: BARRON schreibt in seiner Autobiographie, dass er Ermahnungen und Bestrafungen in der 3. Person wiedergab und sich dadurch Distanz verschaffen konnte: "Sean, du weißt doch, dass du das nicht tun sollst." (SEAN BARRON, 1992, S. 161)

    Die Sprache von autistischen Menschen wurde in der Literatur bisher folgendermaßen beschrieben: Meist werden nur einfache Bedürfnisse geäußert. Es treten enorme Schwierigkeiten auf der abstrakten Ebene auf, z. B. fällt die Beantwortung von W-Fragen schwer. Hier besonders Warum - Fragen. Auch das Ja und das Nein werden unter Schwierigkeiten erworben, auf einer höheren Ebene das Konzept der Zeit, andere abstrakte Begriffe wie Ehre, Moral natürlich ebenso.

    Diese Schwierigkeiten lassen sich als Analogie sehen zu den diagnostischen Aspekten Abwesenheit von phantasievollen Aktivitäten wie Rollenspiele, Phantasie-Figuren oder Tiere oder der Abwesenheit von Geschichten mit phantasievollem Gehalt. Erkennbar ist dieses Defizit am Spiel von autistischen Kindern.

    Autistische Kinder zeigen kaum symbolisches Spiel (z. B. im Spiel eine Puppe oder einen Gegenstand als lebendig betrachten).

    So wie das Verständnis von abstrakten Begriffen schwierig ist, so ist es für autistische Menschen schwer, übertragene Bedeutungen zu verstehen, wie sie bei idiomatischen Wendungen vorkommen, bei Redewendungen und Sprichwörtern. Zunächst wird jede Aussage wortwörtlich verstanden!

    Unsere Alltagssprache bietet sehr viele Wendungen, deren Bedeutung man versteht, wenn man sich von den Worten selbst etwas löst: Das schwarze Schaf in einer Familie ist jemand, der aus dem Rahmen fällt.

    Menschen mit Autismus müssen die Bedeutungen, die beim konventionellen Sprachgebrauch hinter solchen Aussagen stecken, mühsam lernen.

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    Emotionalität der Sprache
      Die gleichförmige Stimmführung, die keine Sprachmelodie erkennen lässt, ist wiederum keine rein sprachliche Erscheinung, sondern passt zu der allgemeinen Gleichförmigkeit im Ausdruck, die autistische Personen ausstrahlen.
        Auch inhaltlich ist die Sprache auffällig: Es fällt schwer, über Erlebtes oder gar über den Gefühlsbereich zu sprechen.
          Das Sprachverhalten, besonders das Sprechen als aktiver Teil, lässt sich also in die Gesamtsymptomatik autistischer Menschen einordnen, es ist in seiner spezifischen Charakteristik eine Folge der autistischen Grundstörung.
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            Metaphorische Sprache

            Bereits KANNER hat darauf hingewiesen, dass manchmal scheinbar sinn-und zusammenhanglose Äußerungen autistischer Menschen zu entschlüsseln sind. Die Aussagen haben metaphorischen Charakter, sie werden aus ihrem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang entnommen und in einen anderen übertragen. Dort ist dann der ursprüngliche Inhalt gemeint.

            Ein Kind kann z. B. aus dem Dialog "Wollen Sie ein Brot?" - "Geben Sie mir eines!", dieses

            "Geben Sie mir eines!" als Ja-Antwort abspeichern.

            Wird es später gefragt, ob es auf das Klo müsse, antwortet es vielleicht mit "geben Sie mir eines".

            KANNER (1946, zitiert aus CLAUDIA Büttner) beschreibt ein sehr kreatives Beispiel: Immer, wenn die Eltern des 4-jährigen autistischen Jungen Jay ihm nicht glaubten, nannte er sich Blum. Irgendwann las Jay den Eltern den Werbespruch, "Blum sagt die Wahrheit" ("Blum tells the truth") vor. Da wurde den Eltern klar, dass Jay mit dem Namen "Blum" ausdrücken wollte, dass er die Wahrheit sagte!

            Es kommt oft vor, dass Szenen aus Werbesendungen aufgegriffen werden und Bedeutungsübertragungen stattfinden.

            Berücksichtigt man solche Möglichkeiten, dann entstehen vielleicht ganz neue Betrachtungsweisen und Bemühungen in der Interaktion von Bezugspersonen mit autistischen Menschen.

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            Paraphrasien (Metaphorische Sprache)

            Eine Variante der metaphorischen Ausdrücke stellen paraphrasische Äußerungen, Umschreibungen, dar. Autistische Menschen benutzen oft Umschreibungen, wenn es darum geht, Gefühle auszudrücken.

            Weinen kann z. B. mit "Salzwasser kommt aus den Augen" umschrieben sein. Auch können ganz alltägliche Gegenstände eine Paraphrasierung erhalten: Teekessel wird zu Mach-eine-Tasse-Tee, Hammer zu Schlag-es-hinein.

            In der Therapie- und Beratungsstelle betreuten wir ein Mädchen, das nannte Seifenblasen "da fliegen die". Beim ersten Mal kommentierte die Therapeutin das Fliegen der Seifenblasen mit "da fliegen die Seifenblasen".

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            Neologismen

            Neologismen sind Wortneuschöpfungen. Diese findet man sehr oft sowohl im Sprechen als auch im Schreiben bei autistischen Menschen. BlRGER SELLIN schreibt z. B.:

            "ich will kein inmich sein". Ein uns bekannter autistischer Junge kreierte unter .Anwendung grammatikalischer Regeln das Wort "ferienlich": "Ich möchte mich ferienlich fühlen."

            Es gibt auch vollkommene Neuschöpfungen, neue Lautkreationen für bekannte Gegenstände (z. B. Eta für Mutter) oder wiederum die Benennung eines Gegenstandes nach der Situation. Z. B. wird ein Flugzeug Amerika genannt, weil der erste Flug nach Amerika ging.

            Dazu lassen sich viele Beispiele anführen. Es handelt sich hier um einen Bereich von Autismus, der sprachinteressierte Menschen zumindest aufhorchen lässt, wenn nicht gar fesselt.

            Manchmal ist der von autistischen Menschen beschrittene (Um-)Weg in der Kommunikation noch unkonventioneller: Es kann auch über Lieder und Melodien kommuniziert werden. Zusammenhänge können dann ähnlich sein, wie bereits beschrieben: Es wird eventuell auf Situationen verwiesen, in denen das Lied vorkam oder es geht um Inhalte des Textes.

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            Unangemessene Sprache

            Die Sprache der sprechenden autistischen Menschen ist immer sehr direkt und unverblümt - es gibt keine diplomatischen Äußerungen oder Notlügen. Es wird i. d. R. nicht auf die Angemessenheit einer Aussage in der sozialen Situation geachtet, weil die Fähigkeit dazu fehlt.

            Neben dieser Unangemessenheit innerhalb des sozialen Kontextes gibt es auch eine inhaltliche Unangemessenheit: Die Themen, über die gesprochen wird oder geschrieben wird, können vorzugsweise aus dem stereotyp bevorzugten Bereich, ein Kind kann z. B. aus dem Urlaub Über die Waschmaschine der Ferienwohnung schreiben.

             Zum Abschluss dieses Beitrages soll noch einmal auf den wichtigen Unterschied zwischen der Sprache der sprechenden Autisten und der schreibenden Autisten hingewiesen werden - hier polarisiert betrachtet, da manche sich in beiden Bereichen bewegen.

            Erstaunlicherweise erhielten wir in den 90-er Jahren gerade von den stummen autistischen Menschen über die gestützte Kommunikation eine Fülle von "Sprachmaterial", das gar nicht so zur bisherigen Charakterisierung von "autistischer Sprache" passt.

            Und wir haben von den Betroffenen selbst Rückmeldungen erhalten über die Schwierigkeiten beim Spracherwerb: DIETMAR ZÖLLER beschreibt in seinem Beitrag (s.o.) die Probleme im Wahrnehmungsbereich, in der Artikulation, außerdem den Aufbau des Wortschatzes, den Zusammenhang zum Denken: Er denkt über das Medium Sprache.

            In der Regel ist deshalb eine Sprachförderung auch eine Förderung für das Denken! (Denken muss jedoch nicht immer über Sprache ablaufen, es gibt auch die Möglichkeit, bildhaft zu denken, wie dies deutlich TEMPLE GRANDlN beschreibt.). Bei DIETMAR ZÖLLER liegen die Schwierigkeiten heute im Bereich der Artikulation, d. h. in der mundmotorischen Ansteuerung.

            Demgegenüber betont BIRGER SELLIN die Angst, wenn es um das Sprechen geht. Frappierenderweise hat er als Jugendlicher einmal einen einzigen Satz geäußert - quasi "aus dem Nichts".

            Andere (z. B. SEAN BARRON) vermitteln uns, dass sie lange nicht erkannten, dass Sprache zur Verständigung eingesetzt werden kann!

            Andererseits wissen wir, dass viele autistische Menschen ein passives Sprachverständnis haben, es ist ihnen demnach bekannt, dass es Begriffe für Dinge, Eigenschaften usw. gibt.

            Es sind viele Hürden, die die Betroffenen nehmen müssen. Das gilt aber auch für die Bezugs- und Betreuungspersonen: Mit zunehmender Erkenntnislage sind wir angehalten, bei Äußerungen immer nach einem Sinn zu suchen und, was die Anbahnung von Kommunikation anbelangt, nach der richtigen Hilfestellung.

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            Literatur, in der Sprachauffälligkeiten gut beschrieben sind
              CLAUDIA BÜTTNER: Autistische Sprachstörungen
                MARIAN K. DEMYER: Familien mit autistischen Kindern
                  JÜRGEN WENDELER: Autistische Jugendliche und Erwachsene
                    "Die Sprache hat für eine autistische Person eine andere Bedeutung als für Nichtautisten. Sie ist im Allgemeinen eher rezeptiv als expressiv. Ich verstehe, was von anderen gesagt wird, buchstäblich. Mein Gehirn ist nicht in der Lage, dunkle, feine Nuancen der Sprache zu verstehen. Für mich haben gewisse Wörter eine eigene Bedeutung, die sich von den allgemeinen Bedeutungen unterscheiden, weil es für mich mehr Sinn macht, sie damit in Verbindung zu bringen, wie sie in meinem Kopf wirken. Die eigenen Definitionen sind total unkorrekt. Sie sind viel weniger real als die Erklärungen in Wörterbüchern- und sie sind konkreter."
                    • Jasmine Lee O’Neill, I live in a home within myself
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                    Personen mit Autismus beschreiben, welche Probleme sie hatten, Sprache zu verstehen
                    "Mit ungefähr zehn Jahren hatte ich angefangen, hin und wieder Bruchstücke direkt mit Bedeutung zu hören. Ich verfiel auf die Strategie, mir die Sätze der Leute innerlich vorzusagen, und stellte fest, dass ich auf diese Weise die Bedeutung eines ganzen Satzes herausbekommen konnte. Mit den Jahren entwickelte ich diese Fähigkeit soweit, dass ich mit kaum wahrnehmbarer Verzögerung mit meinem Gegenüber sprechen konnte. Ich versuchte immer, mir vorzustellen, was ich gemeint hätte, wenn ich jene Worte aus meinen eigenen Gedanken abgeleitet hätte. Ich versuchte, mir von den ankommenden Wörtern Bilder zu machen, als wären es meine eigenen, eine Art von umgekehrtem Denken."
                      • Donna Williams, "Wenn du mich liebst, bleibst du mir fern." S. 139


                        "Wörter kann ich mir wie Grandin oft nur aus dem Kontext erschließen, da ich sie nicht richtig höre. Als kleines Kind hat dies wahrscheinlich dazu beigetragen, dass ich mich trotz Jahre andauernden logopädischen Unterrichts immer noch so schwer tat, richtig zu sprechen. Ich habe viele Wörter nur fragmenthaft verstanden und entsprechend nur „so ungefähr“ wiedergeben können."

                        • Nicole Schuster, Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, S. 43


                        "Mir ist klar, dass ich fast meine ganze Kindheit hindurch meine Mutter einfach nicht hörte. Ihre Bemühungen, geduldig und lieb zu mir zu sein, drangen einfach nicht bis zu mir durch. Ich schenkte ihren Wörtern genauso wenig Aufmerksamkeit wie dem Geräusch eines Wagens, der die Straße entlangfuhr. Ihre Stimme war lediglich Hintergrundgeräusch. Nur wenn sie anfing zu brüllen oder zu schreien, drang sie zu mir durch und holte mich für kurze Zeit aus meinem Schneckenhaus."

                        • Sean Barron, Hört mich denn niemand? S. 125


                        "Die Unterhaltungen zwischen uns können sich wegen der auditiven Verarbeitungsprobleme, unter denen ich mitunter leide, schwierig gestalten. Neil sagt etwas zu mir, woraufhin ich dann nicke oder „Ja“ oder „Okay“ sage, aber später wird mir klar, dass ich gar nicht verstanden habe, was er gesagt hat. Für ihn kann es sehr frustrierend sein, dass er mir etwas Wichtiges erklärt oder berichtet und dann hinterher feststellen muss, dass ich es gar nicht mitgekriegt habe. Das Problem ist, dass mir nicht bewusst ist, dass ich nicht höre, was er sagt; oft höre ich Bruchstücke von einem Satz, die mein Gehirn dann automatisch zusammenzieht und auf bestimmte Weise deutet. Doch da ich ziemlich häufig wichtige Schlüsselwörter überhöre, bekomme ich den wahren Sinn des Gesagten gar nicht mit."

                        • D. Tammet (2007), S. 176


                        "Das Leben im Autismus ist eine miserable Vorbereitung für das Leben in einer Welt ohne Autismus. Die Höflichkeit hat viele Näpfchen aufgestellt, in die man treten kann. Autisten sind Meister darin, keines auszulassen."

                        • Axel Brauns, Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann 15244, S. 9

                         

                        "Die Sprache hat für eine autistische Person eine andere Bedeutung als für Nichtautisten. Sie ist im Allgemeinen eher rezeptiv als expressiv. Ich verstehe, was von anderen gesagt wird, buchstäblich. Mein Gehirn ist nicht in der Lage, dunkle, feine Nuancen der Sprache zu verstehen. Für mich haben gewisse Wörter eine eigene Bedeutung, die sich von den allgemeinen Bedeutungen unterscheiden, weil es für mich mehr Sinn macht, sie damit in Verbindung zu bringen, wie sie in meinem Kopf wirken. Die eigenen Definitionen sind total unkorrekt. Sie sind viel weniger real als die Erklärungen in Wörterbüchern- und sie sind konkreter."

                        • Jasmine Lee O’Neill - I live in a home within myself (www.nas.org.uk) 

                        Asperger-Autisten über ihre Schwierigkeiten idiomatische und abstrakte Begriffe im Zusammenhang zu verstehen
                        Mutter: "Du sitzt da wie ein Ochs vorm neuen Scheunentor. Fang an. Von allein wird die Seite nicht voll."
                        Manche Worte erreichten mich in meiner Welt, manche Worte erreichten mich nicht in meiner Welt. Warum war ich ein Ochse? Warum saß ich vor einem Scheunentor?
                        Es war sinnlos, die Haha nach der Bedeutung ihrer Worte zu fragen. Ich würde keine der Erklärungen verstehen."
                        • Axel Brauns, Buntschatten und Fledermäuse, S. 197


                        "Ich finde einige Aspekte von Sprache viel komplizierter als andere. Abstrakte Begriffe zu verstehen fällt mir vergleichsweise schwer und ich habe für jeden ein Bild in meinem Kopf, das mir hilft, seine Bedeutung zu entschlüsseln."

                        • Tammet, S. 182


                        "Als Kind fand ich besonders idiomatische Ausdrücke verwirrend. Wenn von jemandem gesagt wurde, er sei „durch den Wind“, fand ich das sehr verwirrend, weil ich mich immer fragte, ob denn nicht jeder bei entsprechendem Wetter „durch den Wind“ sein müsse."

                        • Tammet, S. 183
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